Genschere

In der EU und auch in Großbritannien wird eine Deregulierung von gentechnisch veränderten Organismen in Lebens- und Futtermitteln sowie in der Landwirtschaft angestrebt. Das strenge EU-Gentechnikrecht soll gelockert werden, um GVOs, die mit den neuen Techniken des "Gene Editing" hergestellt werden können, vom langwierigen und teuren Zulassungsverfahren und auch von der Kennzeichnungspflicht zu befreien. 

 

Am 13. Juni fand ein Webinar zum o.g. Thema statt, veranstaltet von Lawrence Woodward, dem Direktor der Organisation „A Bigger Conversation/Beyond GM“, mit den drei Expertinnen  

  • Dr. Anne Ingeborg Myhr,
    Senior Vice President, Biotechnologie und Kreislaufwirtschaft beim unabhängigen Forschungsinstitut NORCE (https://www.norceresearch.no/en/)
  • Dr. Sarah Agapito Tenfen,
    Research Professor am NORCE
  • Dr. Margret Engelhard,
    Leiterin der Abteilung GVO-Regulierung und biologische Sicherheit beim Bundesamt für Naturschutz (BfN).

 

Die zentrale Frage lautete: Werden im Zusammenhang mit der geplanten Novellierung des EU-Gentechnikgesetzes bestehende Unsicherheiten über die Auswirkungen der neuen Gentechnik in angemessener Weise und ressortübergreifend diskutiert?

 

Während viele Vertreter*innen der internationalen Agrarwirtschaft und der Politik das Vorhaben überwiegend begrüßen, beklagen kritische Wissenschaftler*innen, dass die politischen Entscheidungsträger*innen die mit der Deregulierung verbundenen Unsicherheiten und die daraus resultierenden Risiken für die Sicherheit, Nachhaltigkeit und Angemessenheit der geplanten Lockerungen nicht ausreichend berücksichtigen - ein möglicherweise fatales Versäumnis, das nicht zuletzt der hohen Komplexität des Themas geschuldet ist.

 

Die mit der Komplexität zunehmenden Unsicherheiten müssen in der Phase "postnormaler" Wissenschaft, in der wir uns befinden, benannt und vor allem viel breiter öffentlich diskutiert werden, weil diese Technik vergleichbar mit der Diskussion um KI einen ähnlich großen Einfluss auf unsere Zukunft haben wird.

 

Als Argument für den geplanten Verzicht auf die Zulassungsprüfungen und Kennzeichnungspflicht wird allgemein angeführt, dass die mit den neuen gentechnischen Verfahren erzeugten GVO auch mit Hilfe konventioneller Züchtungsverfahren hergestellt werden können, wenn auch aufwändiger und langwieriger. Diese Argumentation blendet jedoch die derzeit noch stattfindende sinnvolle Risikobewertung unter den Aspekten des vorsorgenden Verbraucherschutzes, der Nachhaltigkeit und des Umwelt- und Naturschutzes aus, die in der EU-Gesetzgebung bisher höchste Bedeutung hatten.

 

In Zukunft würden nicht nur nicht-gekennzeichnete GVO und daraus hergestellte Produkte legal auf den europäischen Markt kommen, sondern mögliche Risiken bei der Freisetzung solcher GVO in großem Maßstab würden nicht mehr rechtzeitig erkannt, weil keine unfassenden Prüfungen mehr stattfinden werden. In einem denkbaren Schadensfall wären die Verursacher frei von jeglicher Verantwortung. 

 

Über kurz oder lang wird die geplante Lockerung des EU-Gentechnikrechts nicht nur Biobäuerinnen und -bauern, die sich für eine „gentechnikfreie“ ökologische Wirtschaftsweise entschieden haben, in existentielle Schwierigkeiten bringen, sondern es wird auch den Verbraucher*innen die Wahlfreiheit genommen zu entscheiden, wie sie sich und ihre Familien ernähren möchten.

 

Agrarkonzerne lassen sich neue Pflanzeneigenschaften, die mit Hilfe von Gene Editing erzeugt werden können, wie z.B. eine Dürreresistenz, umfassend patentieren. Ein kostengünstiger und schneller analytischer Routine-Nachweis, mit dem man sicher erkennen kann, mit welchem Verfahren z.B. eine Punktmutation in einem Pflanzen-Gen tatsächlich erreicht wurde, ist nicht verfügbar. Zwischen "klassischer Züchtung" und neuartiger genetischer Manipulation kann nicht unterschieden werden.

 

In der Expertenrunde ging es dabei keineswegs darum, die neuen gentechnischen Verfahren wie CRISPR-Cas und andere grundsätzlich zu verteufeln. Die technische Entwicklung ist nicht aufzuhalten und bietet durchaus Chancen.  Aber sie darf nicht allein aus wirtschaftlichem Blickwinkel betrachtet werden, sondern muss eindeutig geregelt werden.

 

Unser Tipp: Nehmen Sie sich die Zeit und verfolgen Sie das aufgezeichnete Webinar auf Youtube (in Englisch). Diskutieren Sie mit Ihren Kindern, Enkeln und Freunden darüber und bilden Sie sich Ihre eigene, faktenbasierte Meinung!

 
IHR PLUS: Wir versuchen stets über den Tellerrand zu schauen und analytische Herausforderungen frühzeitig zu erkennen. Wir werden unser Angebot an Nachweismethoden für „klassische“ GVOs weiter ausbauen, aber müssen zugleich auch auf methodische Grenzen hinweisen, die derzeit nicht überwunden werden können.

 

Autor: Dr. Frank Mörsberger